VERBRÜDERT
Diese Geschichte läuft Gefahr, einem Klischee zu dienen. Dem einer kleinen Klinik am Rande der schönsten Altstadt Deutschlands, wo es bisweilen noch familiär zugeht. Und der Teamgedanke nicht nur in den Leitlinien steht.
Wer kein Fan der Krankenhausserie Schwarzwaldklinik aus den 1980er Jahren ist, winkt jetzt vermutlich ab. Ein Gespräch mit den Brüdern Leon und Niklas Bschorer lässt aber den Verdacht aufkommen, dass zumindest ein Hauch der damaligen ZDF-Serie durch die Dinkelsbühler Flure weht. Und die Bschorers gelten nicht als Romantiker. In der Klinik jedenfalls.
Außerdem darf bezweifelt werden, dass die beiden Assistenzärzte die Serie überhaupt kennen. Zum einen wurden sie erst in den 1990er Jahren geboren. Zum anderen sind Abende vor dem Fernseher in der Familie Bschorer ohnehin selten. Aber dazu später mehr.
Leon (28) ist Assistenzarzt in der Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie, Niklas (30) ebenfalls Assistenzarzt in der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin.
NICHT SELTEN FÜHREN SIE IHRE DIENSTPLÄNE IN EINEM DER DREI OPERATIONSSÄLE ZUSAMMEN.
Als Anästhesist beginnt Niklas den operativen Eingriff – an diesem Morgen ist es eine neue Kniegelenksprothese. Im Vorraum zum OP-Saal verabreicht er dem Patienten eine Spinalanästhesie, bei der nur die Beine und der Beckenbereich narkotisiert werden. Diese Methode ist schonender als eine Vollnarkose und für einen Eingriff am Knie ausreichend.
SOBALD DIE NARKOSE WIRKT UND NIKLAS DEN PATIENTEN IN DEN OP-SAAL SCHIEBT, KOMMT LEON INS SPIEL.
Zusammen mit dem Hauptoperateur Stefan Ketterle lagert er den Patienten so, dass beide Mediziner optimal zum angewinkelten Kniegelenk stehen.
Nach der ausgiebigen Händedesinfektion wird dann der erste Schnitt gesetzt, der offizielle Beginn der Operation.
Alle hier im Raum kennen sich, die meisten schon seit Jahren. Und das spürt man. Die Atmosphäre ist professionell, aber nicht angestrengt. Bei den Bschorer-Brüdern reicht für die Kommunikation meist schon ein Blick.
TROTZ IHRES JUNGEN ALTERS VERMITTELN BEIDE EINEN SICHEREN UND ROUTINIERTEN EINDRUCK.
Sie haben dieses Szenario schon Dutzende Male erlebt. Es ist für sie ein ganz normaler Arbeitstag in der Klinik Dinkelsbühl.
„Wenn wir mit Studienkollegen von früher sprechen, können die kaum glauben, wie unser Alltag hier aussieht“, sagt Leon. „Die sind an renommierten Maximalversorgern tätig, dürfen aber bei weitem nicht die Aufgaben übernehmen, die für uns eigentlich schon zum Tagesgeschäft gehören.“
„DAS IST DER VORTEIL EINER ÜBERSCHAUBAREN KLINIK.“
Möglich wird dies, weil erfahrene Kollegen sich der Assistenzärzte annehmen. Der langjährige Unfallchirurg und Orthopäde Stefan Ketterle ist eine Art Mentor für Leon. Und Niklas lernt seit Jahren vom gesamten Anästhesie-Team, das einen hervorragenden Ruf genießt.
„Wir wurden hier immer gut aufgenommen", sagt Leon. Denn schon während des Studiums arbeiteten die Brüder immer wieder in der Klinik. „Es ist ein bisschen wie eine Familie“, schiebt Leon hinterher.
Dass die Bschorers überhaupt noch in Dinkelsbühl sind, ist keine Selbstverständlichkeit. Niklas ging wegen des Reitens mit 15 Jahren nach England und lebte dort in einer kleinen Wohnung auf einem Reiterhof. Die dort übliche Schuluniform musste er selbst bügeln.
Er wollte nur sechs Monate bleiben, doch es wurden sieben Jahre. Abitur und Führerschein machte er auf der Insel. Und im Reitsport ging es steil bergauf. Zurück in Deutschland wurde er in die Nationalmannschaft der Vielseitigkeitsreiter berufen.
Leon verbrachte viel Zeit in den Staaten, genauer in Florida. An der renommierten Tennisakademie von Nick Bollettieri, einst Trainer von Boris Becker, wurde sein Tennistalent gefördert. Der Lohn war der bayerische Meistertitel.
Schon vor dem Leistungssport lernten beide, ihre Zeit gut zu organisieren, denn das wurde ihnen vorgelebt. Die Eltern betreiben seit 30 Jahren eine auf Pferde spezialisierte Tierarztpraxis in Dinkelsbühl. „Heiligabend, Neujahr, egal – unsere Eltern arbeiten im Notfall immer“, sagt Leon. Das prägt.
Niklas schafft es, neben seiner halben Stelle als Anästhesist noch das zweite Medizinstudium zum Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen an der Universität Erlangen durchzuziehen. Und Leon hat eine Wohnung bezogen, die nur 500 Meter von der Klinik entfernt liegt.
DAMIT ER IM ZWEIFEL SCHNELL REINKOMMEN KANN.
Falls also die Schwarzwaldklinik noch einmal im TV wiederholt wird, werden die Bschorer-Brüder kaum Zeit haben.