ERST SPRECHEN, DANN THERAPIEREN
ES IST EINE SCHLICHTE ZAHL, DIE DAS LEBEN AUS DEN ANGELN HEBT. SIE SOLLTE ZWISCHEN NULL UND VIER LIEGEN. BEI WILLI HELD LAUTET SIE 515.
Es handelt sich um das prostataspezifische Antigen, besser bekannt als PSA-Wert, ein Tumormarker. Ein erhöhter Wert kann auf ein Prostatakarzinom hinweisen, sprich Krebs.
„Wir sehen hier oft einen PSA-Wert von zehn oder auch zwanzig bei den Krebspatienten. Das ist schon erhöht“, sagt Dr. Michael Niemöller, Ärztlicher Leiter der Sektion für Strahlentherapie und Radioonkologie am Klinikum Ansbach.
„515 DAGEGEN IST EIN ENORMER WERT, DER AUF EINE WEIT VORANGESCHRITTENE ERKRANKUNG HINWEIST.“
Geht man strikt nach dem Lehrbuch, kommt nur eine Hormonentzugsbehandlung und gegebenenfalls eine Chemotherapie in Betracht. Beide Therapien zeigen zwar sehr gute Ergebnisse, können die Tumorerkrankung aber nicht langfristig kontrollieren.
WAS DANN FOLGT, IST EIN LANGES UND AUSFÜHRLICHES GESPRÄCH MIT DEM PATIENTEN.
Lang deswegen, weil sich Dr. Niemöller sehr viel Zeit nimmt. So viel Zeit, dass er mitunter früh-morgens in die Klinik kommt, wenn der Nachtdienst noch ein paar Stunden zu tun hat. Bevor der erste Patient erscheint, ist sein Schreibtisch freigearbeitet.
„Diese Gespräche sind sehr wichtig. Es geht natürlich um die Therapieoptionen, aber manchmal auch um das Unausweichliche. So etwas braucht Zeit. Und die muss man sich nehmen“, sagt Dr. Niemöller.
Trotz des niederschmetternden PSA-Wertes verläuft das Gespräch mit Willi Held eher pragmatisch. Das hat mehrere Gründe. Held war über 30 Jahre Chirurg in Nagold im Nordschwarzwald. Dr. Niemöller muss also nicht erklären, wie es um ihn steht. „Da braucht es unter Kollegen keine großen Worte“, sagt Dr. Niemöller.
Und der Strahlenmediziner hat eine Idee. Er schlägt Willi Held angesichts der sehr hohen Werte eine Therapie vor, die etwas vom Lehrbuch abweicht.
„DIE STRAHLENMEDIZIN HAT IN DEN VERGANGENEN JAHRZEHNTEN QUANTENSPRÜNGE GEMACHT. ES IST NAHEZU EINE REVOLUTION. WIR HABEN HEUTE GANZ ANDERE MÖGLICHKEITEN ALS NOCH VOR ZEHN JAHREN“
sagt Dr. Niemöller. Das liegt einerseits an der immer besser werdenden Bildgebung durch die Computertomographie (CT), die Magnetresonanztomographie (MRT) und die Positronen-Emissions- Tomographie (PET-CT). „Durch diese Verfahren können wir den Tumor im Körper exakt lokalisieren und dadurch sehr gezielt bestrahlen“, sagt Dr. Niemöller.
„Außerdem macht die hohe Rechenleistung moderner Computer ein komplexes Berechnungsverfahren möglich. Dadurch konnten sowohl die erheblich vergrößerte Prostata als auch befallene Lymphknoten im Becken mit einer Strahlentherapie behandelt werden“, sagt Dr. Niemöller.
Die Bestrahlung beginnt gut zehn Tage nach dem ersten Gespräch im März 2023. Zwischenzeitlich reizt das Team alle technischen Möglichkeiten aus, um einen optimalen Behandlungsplan zu erstellen. „Gründlichkeit geht vor Geschwindigkeit“, sagt Dr. Niemöller.
Trotz der herausfordernden Ausgangslage ist Willi Held während dieser Zeit zuversichtlich.
„DER GLAUBE BEGLEITET MICH SCHON DURCH MEIN GANZES LEBEN“,
sagt der Chirurg im Ruhestand. „Er hat mich immer getragen. Ich lebe bewusst mit Jesus Christus.“
„Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir“, heißt es im Psalm 23 der Bibel. „Dieser Satz ist wie vier Asse in der Hand“, sagt Willi Held. „Damit ist man für alles gerüstet.“
ER WIRD RECHT BEHALTEN. DIE VON DR. NIEMÖLLER ERARBEITETE THERAPIE SCHLÄGT SOFORT AN.
Der Tumor im Beckenbereich, die stark vergrößerten Lymphknoten und die Prostata – entweder verschwunden oder geheilt. Willi Helds PSA-Wert ist heute so niedrig, als wäre nichts gewesen.
Sein Spitzname in der Nagolder Klinik war übrigens „Turbo-Willi“, weil er im OP-Saal niemals Zeit liegen ließ. Und so hat er es auch bei der Bestrahlung gehalten.