DIE KÄMPFERIN
ES GIBT GESPRÄCHE, UM DIE SICH KEIN MEDIZINER REISST.
Manche Fachrichtungen müssen sie nie führen, andere umso häufiger. Und wenn die Patienten noch jung sind, fällt es noch schwerer.
Bei Katrin Zimmermann kam also einiges zusammen. Ihr sitzen im Frühjahr 2022 gleich zwei Chefärzte gegenüber: Professor Thomas Meyer, Leiter der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Chirurgische Onkologie, und Dr. Thomas Leimbach, Leiter der Klinik für Gastroenterologie und Diabetologie.
Zimmermann ist zu diesem Zeitpunkt 38 Jahre alt, verheiratet, eine Tochter. Im Januar 2022 hatte sie Blut im Stuhl entdeckt und ihren Hausarzt konsultiert, der sie an das Klinikum Ansbach überweist. „Damals dachte ich noch, es sind vielleicht Hämorrhoiden“, sagt Katrin Zimmermann.
Die Befunde des niedergelassenen Mediziners begründen jedoch einen so starken Verdacht, dass Frau Zimmermann eine längere Wartefrist für eine Darmspiegelung umgehen kann.
WARTEN KÖNNTE IHR LEBEN IN GEFAHR BRINGEN.
Chefarzt Dr. Leimbach nimmt die Darmspiegelung selbst vor. Was er sieht, ist bedenklich und wird durch Untersuchungen des Labors bestätigt: Katrin Zimmermann hat einen Tumor im Enddarm und ist an Krebs erkrankt.
„Die Patienten reagieren sehr unterschiedlich auf so eine Nachricht“, sagt Dr. Thomas Leimbach. „Und ich erinnere mich noch genau, wie kämpferisch Frau Zimmermann vom ersten Moment an war. Sie wollte den Krebs sofort angehen.“
„MEINE ERSTE FRAGE WAR: WANN KANN ICH WIEDER ARBEITEN?“,
erinnert sich Zimmermann, die von Beruf Erzieherin ist. Sie hätte auch fragen können: Wann bekomme ich mein altes Leben wieder zurück? Heute kann sie darüber schmunzeln.
Katrin Zimmermann lässt die Dinge nicht einfach auf sich zukommen. Sie ist eine Planerin. Und das Wort Krebs will sie nicht aussprechen. Also gibt sie dem Tumor einen Namen: Er heißt ab sofort Egon.
„DER EGON MUSS WEG. DAS WAR MEIN MOTTO“,
sagt Zimmermann.
Die Mediziner setzen nach einer Fallbesprechung in der regelmäßigen Tumorkonferenz eine Bestrahlungstherapie an. Bei einem Planungs-CT wird der exakte Punkt im Körper für die Bestrahlung festgelegt. „Man liegt dort nackt und wird quasi angezeichnet“, sagt Zimmermann. „Es fühlt sich unwürdig an, aber es geht nicht anders.“
DIE THERAPIE MUSS ÄUSSERST EXAKT VERLAUFEN, UM DIE UMLIEGENDEN ORGANE ZU SCHONEN.
28 Tage wird sie bestrahlt und durchläuft in dieser Zeit auch noch eine begleitende Chemotherapie. Dazu wird ihr von der Abteilung für Thoraxchirurgie ein sogenannter Port unter die Haut implantiert. Vorteil: Die Chemotherapie und andere Medikamente können direkt in die Blutbahn geleitet werden, ohne dass immer wieder neu ein Venenzugang gelegt werden muss.
Sie übersteht beide Behandlungen recht gut und hegt die Hoffnung, dass sie es damit überstanden hat. Das ist auch in vielen Fällen so.
DOCH „EGON“ IST HARTNÄCKIG. UND EIN TEIL VON IHM IST IMMER NOCH IN IHREM KÖRPER.
Professor Thomas Meyer und sein Leitender Oberarzt Dr. Martin Balog planen eine Operation, um den restlichen Tumor zu entfernen.
Der sitzt so nah an ihrem Schließmuskel, dass es permanente Konsequenzen haben wird. Dieser wird wahrscheinlich nicht mehr so funktionieren wie bisher.
Katrin Zimmermann steht vor einer Entscheidung: Nimmt sie die möglicherweise gestörte Schließmuskelfunktion in Kauf oder lässt sie sich einen dauerhaften künstlichen Darmausgang legen?
Die erste Option würde bedeuten, dass sie wenig Kontrolle über ihren Stuhlgang hätte und im Grunde ständig eine Toilette in der Nähe haben müsste. „Diese Eingeschränktheit wollte ich auf gar keinen Fall“, sagt Katrin Zimmermann.
„ICH WOLLTE WEITER FREI LEBEN.“
Mit 38 Jahren entscheidet sie sich für ein Stoma, einen künstlichen Darmausgang. Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet u. a. „Öffnung“. Es ist ein radikaler Entschluss, denn danach gibt es kein zurück mehr. Ihr Schließmuskel wird bei der OP komplett entfernt.
Professor Meyer ist durchaus erstaunt und spricht extra noch einmal mit ihr. Als Leiter des Onkologischen Zentrums will er sichergehen, dass sie die Konsequenzen versteht, doch ihre Entscheidung steht.
Die überwiegend laparoskopische Operation im Juli 2022 dauert über drei Stunden. Der Leitende Oberarzt Dr. Martin Balog und Chefarzt Professor Thomas Meyer benötigen diese Zeit, um die verbliebenen Reste des Tumors zu entfernen und den Darm umzuleiten. Dessen Endpunkt befindet sich jetzt auf der linken Körperseite etwas oberhalb der Leiste.
SIE WIRD DIE KOMMENDEN VIER WOCHEN KEIN EINZIGES MAL SITZEN,
sondern ausschließlich stehen oder liegen.
Schon vor dem Operationstermin hat sie Kontakt mit Bianka Lechner, stellvertretende Leiterin des Onkologischen Zentrums und so etwas wie der gute Geist des Klinikums. Lechner hat eine Weiterbildung als Onkologische Fachpflegekraft, ist also spezialisiert auf die Betreuung von Krebspatienten.
Wie Katrin Zimmermann gehört auch Bianka Lechner zu den Menschen, die die Dinge ohne Umwege angehen. Beide üben den Umgang mit einem Probebeutel, der an das Stoma nahtlos angeschlossen wird. Und sie probieren Hosen an, denn auch dieser Aspekt ist wichtig.
Vor allem aber strahlt Bianka Lechner eine Haltung aus.
„WIR KRIEGEN DAS HIN“, IST IHR LEITSATZ.
„Und wenn nicht, finden wir einen anderen Weg.“ Diese Einstellung bewirkt mehr als manches Medikament.
Seit drei Jahren lebt Katrin Zimmermann mit einem künstlichen Darmausgang. Sie würde sich wieder so entscheiden. „Die Leute sagen ständig, was man alles nicht mehr machen kann. Aber das stimmt nicht“, sagt Zimmermann. Sie geht schwimmen, ins Fitnessstudio und ist wieder in ihren Beruf zurückgekehrt. Sie hat eine Selbsthilfegruppe gegründet und einen Podcast aufgenommen. „Alles Kopfsache“, sagt sie.
Katrin Zimmermann hat nie gezweifelt, dass es wieder gut wird. Sie ist eine Kämpferin.