BAUSTELLEN ERPROBT
Es gibt eine Szene im Leben von Tim Vehring – lange Jahre vor seinem Doktortitel – die seinen Werdegang treffend beschreibt. Vor gut 16 Jahren steht er im Westfalen-Kolleg in Bielefeld. Um seine Abiturnote noch ein Stück weiter anzuheben, legt er eine mündliche Nachprüfung in Latein ab. Sie wird ihm die Möglichkeit eröffnen, Medizin zu studieren. Tim Vehring absolviert diesen Test in Zimmermanns-Kleidung, denn direkt im Anschluss fährt er ins nahe Gütersloh, wo er eine Baustelle betreut.
Dr. Tim Vehring ist seit dem Frühjahr 2023 Leitender Oberarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie an der Klinik Dinkelsbühl. Er war der Wunschkandidat des dortigen Chefarztes Dr. Markus Sporkmann.
Als der Wechsel von Dr. Vehring bekannt wird, sagt Dr. Sporkmann nur: „Der Tim ist wie ich.“
UND TATSÄCHLICH ARBEITEN BEIDE MIT EINER ÄHNLICH KLAREN STRUKTUR UND SPRACHE, OB IM OPERATIONSSAAL ODER BEIM PATIENTEN. MEDIZINER IN LEITENDER POSITION ZU WERDEN HATTE DR. VEHRING LANGE NICHT AUF DEM PLAN.
Als Teenager saß er uninspiriert in der Schule, die Theorie an der Tafel erreichte ihn nicht mehr. „Ich wollte raus und mich bewegen“, sagt Tim Vehring über diese Zeit. Er begann eine Lehre als Zimmermann und arbeitete anschließend als Geselle.
Abitur? Womöglich ein Studium? Er sah keinen Grund dafür.
Tim Vehring war nicht unglücklich im Job. Doch wenn im Herbst die Schlechtwetterperiode begann, wurde er als Junggeselle stets als Erster freigestellt. Und dann gab es noch jemanden in seinem näheren Umfeld, der eine schulische Weiterbildung ins Spiel brachte.
Also noch einmal über Jahre die Schulbank drücken? Und das Fachabitur machen? Nee, dachte Vehring.
WENN SCHON, DANN RICHTIG.
Im schon erwähnten Westfalen-Kolleg meldete er sich für die Allgemeine Hochschulreife an. Mit dem Ziel, anschließend Medizin zu studieren.
MEDIZIN ODER GAR NICHTS – SO LAUTETE SEIN MOTTO.
Eine Ankündigung dieser Qualität muss man als Handwerker erstmal machen. Doch Tim Vehring besitzt eine gute Selbsteinschätzung, gepaart mit einem unaufdringlichen Selbstbewusstsein. Vielleicht beruht beides darauf, dass er ein Haus mit eigenen Händen bauen kann. Und das auch schon getan hat. Sicher ist, dass seine Physis nicht auf einem Fitnessstudio-Abo basiert, sondern auf jahrelanger Baustellenarbeit. Authentischer wird’s nicht.
Fleiß ist eine wiederkehrende Tugend im Leben von Tim Vehring. Als er schon als Assistenzarzt in Münster arbeitet, kaufen er und seine Frau ein Haus aus den 1950er Jahren, dass er eigenhändig saniert. „Die Arbeit in der Klinik war gut organisiert, in der Regel war man vor 17 Uhr mit dem Tagesgeschäft fertig“, erinnert sich Vehring. Anschließend legt er sich kurz hin, um dann bis 22 Uhr am Haus zu arbeiten. Das macht er über Monate hinweg. Und schreibt irgendwann auch noch seine Doktorarbeit.
Am Endoprothetikzentrum an der Klinik Dinkelsbühl kann er mit Dr. Markus Sporkmann so arbeiten, wie er es sich vorgestellt hat.
„WIR MACHEN HIER MEDIZIN AUS EINER HAND“,
sagt Dr. Tim Vehring. Soll heißen: Beide Orthopäden sehen ihre Patienten zuerst in der Sprechstunde, operieren sie wenn nötig und kümmern sich anschließend auch um die Nachsorge. Dr. Vehring nennt es den Gold-Standard.
Das ist bei weitem nicht der übliche Ablauf. An großen Kliniken sieht der Operateur den Patienten oft zum ersten Mal narkotisiert im OP. Beide werden nie ein Wort miteinander wechseln, die Nachsorge übernimmt der einweisende Praxismediziner. Das alles muss nicht schlecht sein, doch Vertrauen kommt anders zustande.
Chirurgie ist ein Handwerk, die Indikationsstellung eine Kunst – so definiert Dr. Tim Vehring seinen Beruf. Die Kunst kann man nur schwerlich beherrschen, wenn man den Patienten nicht wirklich zu Gesicht bekommt. Und seine Geschichte nicht kennt.
Apropos Patient: Weil der Weg zum Arzt im flächenmäßig größten Landkreis Bayerns lang sein kann und ANregiomed ein Klinikverbund ist, kommen die Ärzte Vehring und Sporkmann dem Patienten entfernungsmäßig entgegen.
MONTAGS UND DONNERSTAGS IST EINER VON IHNEN IM MVZ AM KLINIKUM ANSBACH, UM DEN TAG ÜBER SPRECHSTUNDE ZU HALTEN.
Dort wird im Frühjahr 2023 auch Lisa Steininger vorstellig. Die 29-Jährige aus Colmberg hat nach ihren Schwangerschaften so starke Hüftschmerzen, dass sie kaum noch gehen kann. Beim Friseur hört sie zufällig von Dr. Sporkmann und gleich mehreren zufriedenen Patienten. Steininger macht sofort einen Termin.
Die Diagnose lautet auf eingebrochenen Hüftkopf, der keinen Aufschub duldet. Da Dr. Sporkmanns OP-Kalender randvoll ist, empfiehlt er seinen Kollegen.
„FÜR DR. VEHRING LEGE ICH MEINE HAND INS FEUER“,
sagt er. Am 20. April 2023 wird Lisa Steininger in der Klinik Dinkelsbühl operiert. Und lebt seitdem schmerzfrei.