BIS DIE ARBEIT ERLEDIGT IST
An seinem letzten Arbeitstag stehen Richard Knab Tränen in den Augen. Es ist das Jahr 2008 und der 63-jährige Krankenpfleger verlässt nach 30 Jahren wehmütig die Notaufnahme. „Ich hätte gerne noch weitergemacht“, sagt Knab heute.
„ES WAR EIN TOLLER BERUF. ICH BIN JEDEN TAG GERNE IN DIE KLINIK GEKOMMEN.“
Sein damaliges Überstundenkonto spricht Bände darüber, wie Richard Knab seine Tätigkeit definierte. Er arbeitete, bis alle Patient/-innen versorgt waren – Uhrzeit zweitrangig. Als die Zeiterfassung für Pflegekräfte eingeführt wird, ist er nicht wirklich glücklich darüber. „Man konnte nicht mehr so viel arbeiten“, sagt Knab und meint es auch so. Es ist eine Generationenfrage.
Knab wächst auf einem Bauernhof auf und muss früh mit anpacken. Freizeit ist in seiner Kindheit ein rares Gut. Das prägt ihn bis heute. In der BRK Bereitschaft Heilsbronn hat er über 60 Dienstjahre gesammelt, gewürdigt mit dem silbernen Ehrenamtspreis. Und Knab gibt weiterhin Erste-Hilfe-Kurse.
Kolleg/-innen erinnern sich, dass er während seiner Schicht in der Klinik auch mal fränkisch werden konnte, wenn es nicht reibungslos lief. Für Knab war auch das Teil seiner Verpflichtung gegenüber den Patient/-innen, die immer an erster Stelle standen – Ende der Diskussion.
30 Jahre in der Notaufnahme gehen an niemandem spurlos vorüber. Zu viele Schicksale, zu viele Momente, in denen man die Grenzen der Medizin akzeptieren muss. Aber es sind nicht unbedingt die schwersten Verletzungen, die im Gedächtnis bleiben.
Ein apathischer junger Mann erscheint mit einem Kumpel abends in der Notaufnahme. Seine Handverletzung kann er nicht schlüssig erklären. Beide sprechen überhaupt nur das Nötigste. Und als die Wunde behandelt ist, verlassen sie umgehend das Klinikum.
Es gibt im Grunde nichts, was man in der Notaufnahme nicht erlebt. Richard Knab macht sich keine weiteren Gedanken. Bis ein paar Stunden später die Kriminalpolizei nachfragt, ob jemand mit einer Handverletzung erschienen ist.
Der junge Mann hatte an diesem Abend seine Freundin umgebracht. Er fuhr aus einem benachbarten Landkreis in die Ansbacher Notaufnahme. Wohl in der Hoffnung, die Behandlung würde hier nicht auffallen.
„ICH SASS EINEM MÖRDER DIREKT GEGENÜBER.“
„Er hätte sonst was machen können“, erinnert sich Knab. „Das trägt man schon etwas länger mit sich herum.“
Ein anderes Mal kommt ebenfalls ein Mann in Begleitung eines Freundes in die Notaufnahme. Wieder geht es um eine Handverletzung, diesmal jedoch nach Kontakt mit einer Kreissäge. Auf der Fahrt in die Klinik werden sie mit 120 km/h geblitzt – innerorts. Das hatte auch damals schon gravierende Folgen.
Die Umstände der Geschwindigkeitsüberschreitung lassen Richard Knab keine Ruhe. Er kennt jemanden in der zuständigen Behörde und wird aktiv. Am Telefon schildert er die Verletzung und bezeugt die Dringlichkeit der Behandlung. Die Anzeige wird zurückgezogen und der Fahrer lediglich belehrt.
Den Anruf hätte Richard Knab nicht tätigen müssen. Es gehörte nicht zu seinem Aufgabenbereich, sich um den Erhalt des Führerscheins einer ihm fremden Person zu kümmern. Er tat es trotzdem.
Seine Motivation in über drei Jahrzehnten am Klinikum Ansbach kann Richard Knab in einem Satz bündeln:
„ICH WOLLTE DEN MENSCHEN HELFEN.“
Es kann so einfach sein.