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ANgesicht Magazin

0,3 MILLIMETER

Dr. Schulze lebt sprachlich in zwei Welten. Steht er im Herzkatheterlabor direkt beim Patienten, hört man wenig von ihm. In seiner Konzentration äußert er meist nur knappe Wünsche nach dem nächsten Typ Katheter, den er für die Behandlung benötigt. Für Außenstehende ist es ein besseres Brummen, das ihm da entfährt. Die Damen der Herzkatheterpflege kennen das schon.

Hat er anschließenden den Arztbrief geschrieben und abgespeichert, scheint er wie ausgewechselt. Auskunftsfreudig, begeisterungsfähig, mitunter abschweifend – so steht er vor einem. Dr. Ralph Schulze blickt auf vier Jahrzehnte Innere Medizin zurück. Er kann also viel berichten.

UND ER HAT VIEL ZU BERICHTEN.

Dr. Schulze war Chefarzt, davor Anteilseigner einer großen kardiologischen Praxis und

HAT RENOMMIERTE HERZZENTREN MIT AUFGEBAUT. ER KENNT DAS GESCHÄFT AUS JEDER WARTE.

Mit 66 Jahren könnte er schon lange in Rente sein, doch der Gedanke scheint ihm nicht geheuer. Für die Klinik Rothenburg ist er ein Glücksfall. Für den vielbeschriebenen Fachkräftemangel sowieso.

ALS INTERVENTIONELLER KARDIOLOGE LEGT ER HERZKATHETER WIE ANDERE VERBÄNDE.

Grob überschlagen waren es über 60.000 Eingriffe in seiner Karriere. Dabei ist das Prozedere für Nichtmediziner sehr abstrakt. Über das Handgelenk oder die Leiste einen 0,3 Millimeter dünnen Draht durch die Blutbahnen bis zum Herzen zu schieben, um dort ein Gefäß aufzuweiten oder eine Blockade zu lösen – dazu  gehört ein veritables räumliches Vorstellungsvermögen. Denn wo sich die Spitze des Katheters genau befindet, sieht Dr. Schulze nur (stark vergrößert) auf einem Monitor, der von der Decke hängt.

Und das allein reicht nicht.

„MAN MUSS IN DEN FINGERSPITZEN  SPÜREN, WAS DER KATHETER MACHT“,

sagt Dr. Schulze. Um dessen Richtung zu beeinflussen, um abzubiegen in ein benachbartes Gefäß. Nicht alle entwickeln dieses Gefühl. Deswegen gibt es auch keine Schwemme an interventionellen Kardiologen. Gab es noch nie.

Es ist wie bei Rennfahrern, die das Lenkrad nicht umklammern, sondern schlicht halten. Denn sie müssen spüren, was das Fahrzeug macht (oder gleich machen wird). Dem zweimaligen Rallyeweltmeister Walter Röhrl wird nachgesagt, er habe seine Boliden quasi mit den Fingerspitzen gelenkt. Röhrl hat zweifelsohne  jenes Gefühl entwickelt.

Piloten brauchen diese Fähigkeit ebenfalls. Womit man wieder bei Dr. Ralph Schulze ist, dessen erster Berufswunsch Lufthansa-Pilot war. Seine Heimat Frankfurt ist immer noch die größte Basis der Fluggesellschaft. Und die Fliegerei hat einen festen Platz in der Familie. Seine Schwester betreibt von Frankreich aus eine Airline mit Business-Jets.

MAN KANN SICH DEN KARDIOLOGEN SCHULZE SEHR GUT ALS FLUGKAPITÄN SCHULZE VORSTELLEN.

Wie er – aus den Staaten kommend – die Boeing 747 etwa nordöstlich von Hanau sachte in die letzte Rechtskurve legt. Wie er – linke Hand am Steuerhorn, rechte Hand am Schubhebel, „LH457, you are cleared to land on runway 07R“ – den Jumbo-Jet mit annähernd buddhistischer Ruhe am Frankfurter Flughafen aufsetzt.

Das braucht Format und Standvermögen. Womit die Voraussetzungen für einen interventionellen Kardiologen gut umschrieben sind.

DENN AM ENDE HÄNGT VIELES, MANCHMAL AUCH ALLES VON DEMJENIGEN AB, DER DEN KATHETER ANS HERZ HERANFÜHRT.

Bei einem Herzinfarkt, also dem Verschluss eines Herzkranzgefäßes, können Minuten über das Leben entscheiden. Das ganze Team des Herzkatheterlabors muss dann zügig arbeiten, Ruhe bewahren und darf keine Fehler machen.

HEKTIK HAT NOCH KEINEM PATIENTEN GEHOLFEN.

Die entscheidenden Signale kommen dabei vom Kardiologen. „Wenn ich Sicherheit ausstrahle, dann überträgt sich das auf das Team“, sagt Dr. Schulze.

Am Ende ist er es aber allein, der die Blockade beseitigen muss. Kein Assistent kann dabei helfen, niemand kann ihm den Druck nehmen. Die Fähigkeit, den Katheter mit wenigen Handbewegungen unter zeitlicher Anspannung an die richtige Stelle zu führen, ohne dabei unnötigen Schaden anzurichten – dazu braucht es dieses Gefühl.

Das mit dem Standvermögen ist übrigens wörtlich gemeint. Um die bei jeder Behandlung eingesetzte Röntgenstrahlung abzuwehren, tragen alle Mitarbeiter im Herzkatheterlabor schwere Schutzkleidung. Dr. Ralph Schulze bevorzugt eine einteilige Bleischürze, die zwar bequemer, jedoch auch deutlich schwerer ist. Gut 20 Kilo schultert er so bei jedem Eingriff. An einem regulären Arbeitstag trägt er sie verteilt über mehrere Stunden.

„Ich war mal 1,88 Meter groß. Inzwischen sind es noch 1,85 Meter“, sagt Dr. Schulze mit einem knappen Lächeln. Berufsrisiko.

DAS SCHUTZSCHILD VOR SEINEM GESICHT HÄLT EBENFALLS RÖNTGENSTRAHLEN FERN

und hat nichts mit der Corona-Epidemie zu tun. Das beschichtete Glas ist eine Spezialanfertiung, die Kosten liegen im vierstelligen Eurobereich.

Als Leitender Oberarzt in der Abteilung für Innere Medizin an der Klinik Rothenburg ist Dr. Ralph Schulze dem jüngeren Chefarzt PD Dr. Christian Wacker unterstellt. Nicht alle ehemaligen Chefärzte würden so ein Arbeitsverhältnis akzeptieren, viele es als Rückschritt sehen. Dr. Schulze hält sich damit nicht auf.

„ICH HALTE DR. WACKER DEN RÜCKEN FREI,

denn seine Position beinhaltet eben auch viel administrative Arbeit, die Zeit in Anspruch nimmt“, sagt Dr. Schulze. Ihr Verhältnis ist von gegenseitigem Respekt geprägt.

HIER BEGEGNEN SICH ZWEI KARDIOLOGEN AUF AUGENHÖHE.

Auch nach vier Jahrzehnten im Beruf hat er keinen Enthusiasmus eingebüßt, wenn es um den Patienten geht. Während der Visite auf der Intensivstation trifft Dr. Schulze auf zwei ältere Männer, die am Vortag noch erhebliche Atemprobleme hatten. Jetzt sind die Vitalwerte deutlich besser, die Medikamente haben angeschlagen. Beide Patienten können sich wieder artikulieren.

Dr. Ralph Schulze ist sehr zufrieden. Um das zu sehen, muss man ihn ein wenig kennen. Er trägt das nicht unbedingt vor sich her. Aber auf dem Weg zurück ins Katheterlabor huscht doch ein Lächeln über sein Gesicht.

DAS HERZ SITZT BEI DIESEM KARDIOLOGEN AN DER RICHTIGEN STELLE.

Weitere Informationen

PD Dr. Christian Wacker
Chefarzt

Dr. Ralph Schulze
Leitender Oberarzt

Abteilung für Innere Medizin
Klinik Rothenburg

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